05.04.14

Rosemary's Baby (USA 1968)

„Das ist kein Traum. Das passiert in Wirklichkeit!“
Quelle: DVD "Rosemary's Baby" © Paramount Home Video
-Spoilerwarnung-
Dieser Beitrag enthält Hinweise auf die Handlung
 
Biancas Blick: 

Guy und Rosemary Woodhouse mieten ein exklusives Apartment in New York. Zunächst verläuft das Einleben dort sehr harmonisch, doch nach und nach geschehen merkwürdige Dinge im Haus. Geräusche. Gespräche. Alpträume. Als Rosemary schwanger wird, häufen sich die Vorkommnisse und in Rosemary wächst der Verdacht, dass Satansjünger am Werk sind und für sie und ihr Baby ganz besondere Pläne hegen ...

Psychedelische Verdammung


1968 erscheint ein von der katholischen Kirche mit einem Bann belegtes Meisterwerk, das zum Kassenmagneten wird und Mia Farrows Schauspielkariere begründet.
Die katholische Kirche ereifert sich an der „Perversion fundamental christlicher Glaubensvorstellungen“ und belegt den Film mit einem „c“ (für condemned = missbilligt).
Der Film gilt als erster psychedelischer Horrorfilm, dem in den 70er Jahren eine ganze Reihe folgen wird (DER EXORZIST, DAS OMEN, CARRIE).

Als psychedelisch bezeichnet man eine durch Drogen oder spirituelle Praktiken herbeigeführte Veränderung des Bewusstseinszustands. Die Grenzen von Ich und Außenwelt heben sich auf. Es kommt zu spirituellen Erfahrungen von Alleinsein.
Wenn man sich die oben genannten Filme anschaut, versteht man, warum sie als psychedelic movies bezeichnet werden. Die Bilder sind verzerrt, die Perspektiven ungewöhnlich, oft wird die Perspektive einer Figur verwendet, das Gesehene wird in Größe und Schärfe - selbst in der Farbgebung - zu einer Erfahrung, hebt sich von der Realität deutlich ab.
Die Musik, eine Art verzerrter Jazz mit vielen Disharmonien, unterstreicht dieses Empfinden auditiv.

Quelle: DVD "Rosemary's Baby" © Paramount Home Video
Zusammen mit EKEL und DER MIETER bildet ROSEMARY'S BABY Roman Polanskis lose Trilogie, in welcher der Horror in die Stadt, in ein Apartment zieht. Es ist Polanskis erster amerikanischer Film.

Die Romanvorlage stammt von Ira Levin und wird die erste von vielen Stoffverfilmungen in Polanskis Œuvre. Polanski ist von dem Roman so fasziniert, dass er sofort zusagt, ihn zu verfilmen, unabhängig von allen möglichen Vorgaben zur Adaption. Er hält sich in seiner Verfilmung sehr dicht an die Vorlage, übernimmt Dialoge zum Teil wortwörtlich und sogar die Kostüme aus den Beschreibungen des Romans. Ira Levin hält das Werk für eine der besten Romanverfilmungen Hollywoods.
Gerüchte, auch Alfred Hitchcock sei brennend an der Verfilmung interessiert gewesen, werden immer wieder geäußert, sind aber nachweislich falsch.
Polanski nutzt bewusst nur wenig Schnitte, spielt mit langen Einstellungen. So enthält die Eingangssequenz, in der Rosemary und Guy sich das Apartment ansehen, nur zwei Schnitte. Die Szene in der Telefonzelle zum Ende des Films wird sogar ohne einen Schnitt gedreht.

Der (neue) Horror! Der (neue) Horror!


In Polanskis Werken erscheint der Horror selten direkt oder sichtbar. Es ist etwas Bedrohliches spürbar. Gezeigt wird diese Bedrohung durch die Geschehnisse und Reaktionen der Hauptfigur. Das Unheimliche resultiert häufig aus der Diskrepanz zwischen der Normalität des Alltags und der Einsamkeit in der Bewältigung von Ängsten und Panik, entstanden aus Abweichungen im Alltag.
Der Horror liegt nicht mehr in fernen oder abgelegenen Welten, sondern im Alltag, in der unmittelbaren Lebensumgebung und wirkt gerade deshalb so unheimlich, so subtil, so schleichend, so beklemmend.
Polanski setzt hier den Grundstein für einen neuartigen, subtilen Horror.
Der Zuschauer weiß in seinen frühen Werken (EKEL, ROSEMARYS BABY und DER MIETER) oft nicht, woran er oder der Protagonist ist. Er spielt mit psychologischen Elementen wie Depression, Wahnvorstellungen, Panikattacken, Einsamkeit oder auch dem Festhalten am Glauben, der Angst vor einem Glauben, vor allem, was den eigenen Wirkungskreis stört oder bedroht.

Der Aufbau der Handlung übt einen enormen Sog auf den Zuschauer aus.
Die Bedrohung nähert sich vom Außen ins buchstäblich Innere der Hauptfigur.

Quelle: DVD "Rosemary's Baby" © Paramount Home Video
Zwischen Mia Farrow und Roman Polanski entsteht während des Drehs eine Freundschaft.
Polanski betont, dass er fasziniert ist, wie schnell Mia Farrow bei den Vorsprechen und Proben den Ton im Dialog gefunden hat. Feinfühlig erfasst sie die zugrundeliegende Emotion und kann diese pointiert vermitteln.
Es ist für beide ein wichtiges Projekt:
Für Polanski bildet der Streifen seine Taufe in Hollywood, für Mia Farrow ist es die erste große Kinorolle. Sie ist dem breiten Publikum durch die Serie „Peyton Place“ geläufig (und erhält dort 1965 den Golden Globe als beste Nachwuchsdarstellerin), erlangt aber große Bekanntheit durch ihre Heirat mit dem fast 30 Jahre älteren Frank Sinatra (während des Drehs  zu ROSEMARY'S BABY lässt sie sich gerade nach zwei Jahren Ehe scheiden).

Polanski ist obsessiv, risikofreudig. Er weiß, dass er filmisches Neuland betritt. Farrow hingegen sucht Geborgenheit, in der Familie und ihrem Freundeskreis, sie umgibt sich gern mit Freunden, Tieren und Vertrauten. Mit diesen Grundzügen gibt sie sich der Rolle und der Erarbeitung der Figur Rosemary vollkommen hin und erschafft eine Figur voller Sensibilität und Empathie.
Roman Polanski lässt seinen Schauspielern freien Lauf. Erst wenn die Darsteller „ihren“ Ton für eine Szene gefunden haben, wirkt er als Regisseur ein. Die Bilder baut er um seine Figuren herum, nicht umgekehrt (Wofür zum Beispiel Alfred Hitchcock oder Stanley Kubrick berühmt sind). 

Marcos Blick: 

Es ist nicht leicht, Polanski den einen Stil nachzuweisen. Seit 50 Jahren bewegt er sich durch sämtliche Genres, wandelt und verändert seine Techniken immer wieder immer weiter. Dennoch halte ich „Beklemmung“ für sein auffälligstes Merkmal.
Egal welchen Film man schaut, DER PIANIST, DER GOTT DES GEMETZELS, CHINATOWN, FRANTIC, ROSEMARY’S BABY, immer hinterlassen seine Filme ein Gefühl der Beklemmung.
Dieses „Stilmittel“ macht schon sein Erstlingswerk EKEL so eindringlich, und ist vermutlich einer der Hauptgründe für Wirkung und Erfolg von ROSEMARY’S BABY.

Vom Baby-Boom zum Horror-Boom

Quelle: DVD "Rosemary's Baby" © Paramount Home Video
Hier gelingt Polanski ein Geniestreich, den er nur mit Reduktion erreichen kann. Wie oben erwähnt, ignoriert er einfach sämtliche Horrorkonventionen.
Üblicherweise braucht Horror, bis heute, abgelegene Wälder, einsame Hütten, fremde Planeten. Abgeschiedenheit und Einsamkeit sind eines der Markenzeichen des Horrors. Das Fehlen jeglicher Hilfe sorgt dafür, dass man mit der Figur mitfiebert und, nun, sich „gruselt“.

ROSEMARY’S BABY ist der erste große Film, der es schafft, den Horror in der Großstadt zu zeigen. Nicht aus der Abgeschiedenheit droht hier die Gefahr, sondern aus der Alltäglichkeit. Der eigene Ehemann, die tüddeligen, älteren Nachbarn, das eigene ungeborene Kind – mit einem Mal wird alles bedroht oder bedrohlich. Vor allem aber wird die eigene Wahrnehmung zum Feind. Was ist wahr, was ist falsch? Wem kann man noch trauen, wenn selbst die engsten Vertrauten möglicherweise gegen einen stehen?
Polanski schafft hier, nahezu nebenbei, ein ganz eigenes Genre: den Großstadt-Horror, oder eben auch den Paranoia-Horror. Sogar modernere Vertreter wie DIE FRAU DES ASTRONAUTEN oder IM AUFTRAG DES TEUFELS bewegen sich vollständig in der Tradition von ROSEMARY’S BABY. Der plötzliche Einbruch des Bedrohlichen in den Alltag, das Misstrauen dem eigenen Ehemann gegenüber, die unsichtbare, ungreifbare Gefahr ...
Stephen King (der nicht zufällig im Fahrwasser von ROSEMARY'S BABY anfängt zu schreiben) hat nahezu sein gesamtes Werk auf dem aufgebaut, was ROSEMARY’S BABY begründet hat: Den Alltagshorror. Die Gefahr, die langsam und unmerklich in den Alltag kriecht.

Quelle: DVD "Rosemary's Baby" © Paramount Home Video
Überhaupt tritt ROSEMARY’S BABY, gemeinsam mit dem im selben Jahr erscheinenden DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN, den ungeheuren Horrorboom los, der die 70er beherrscht. Während George A. Romeros Meisterwerk eine ganze Welle harter, realistischer Slasherfilme hinter sich herzieht, inspiriert ROSEMARY’S BABY zum Catholic Horror: DER EXORZIST, DAS OMEN, THE AMYTIVILLE HORROR, WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN oder DIE WIEGE DES BÖSEN.
Bezeichnend ist in ROSEMARY’S BABY vor allem der dokumentarische Stil. Der Film ist nicht inszeniert wie ein Horrorfilm, der schiefe Perspektiven und bedrohliche Schatten nutzt. Viel eher fühlt man sich wie in einer Doku, die eine schwangere Frau begleitet. Immer wieder folgt die Handkamera den alltäglichen Abläufen oder hält, wie in der Telefonzelle, nüchtern aber unprätentiös, auf das Geschehen. Statt zu inszenieren macht die Kamera den Zuschauer zum Voyer, zum unsichtbaren Begleiter. Das trägt viel zu der realistischen, aber eben auch beklemmenden Atmosphäre des Films bei.

Es ist schwierig, ohne Monster im Schrank oder blutige Eingeweide Angst, Beklemmung oder Schweiß auf der Stirn in den Zuschauern hervorzurufen. Der grandiosen Regie Polanskis und dem hervorragenden Spiel Mia Farrows gelingt das hier allerdings hervorragend.


Quelle: DVD "Rosemary's Baby" © Paramount Home Video

Aus Arch Stanton's Grab


The Good:
Erstaunlicherweise entsteht der Film trotz seines dunklen, satanistischen Themas in der Hochzeit der Flower Power Ära. Aufnahmen vom Set zeigen Farrow und Polanski, wie sie Setstücke mit Love&Peace-Motiven bemalen, Farrow beim - augenscheinlich bekifften - Tanzen im Team und anderen Aktionen, die heutzutage nahezu klischeehaft wirken.

The Bad:
Eine etwas befremdliche Anekdote liefert der Dreh für die Szene, in welcher Rosemary offenbar im Schock über eine stark befahrene Straße läuft. Möglicherweise aus Kostengründen, vielleicht auch für die Authenzität, unter Umständen auch, weil es in New York chronisch schwierig ist, Straßen abzusperren, verzichtet Polanski darauf. Er schnallt ihr den falschen Babybauch um und schickt sie mit den Worten: "Keine Angst, kein Mensch überfährt eine schwangere Frau!" in den frei fließenden Verkehr.

The Ugly:
Im aktuellen Filmgeschäft werden Remakes immer wichtiger - sie sind risikofreier und besser einzuschätzen. Und natürlich darf auch von ROSEMARY'S BABY kein Remake fehlen: Für Mai 2014 ist auf dem Sender NBC ein Fernsehzweiteiler mit der von uns hochgeschätzten Zoe Saldana terminiert. Man darf gespannt sein, wie das Thema sich in seinem modernen Gewand macht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!